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Eine Vision für Kinder

Gastbeitrag von Alexandra Lampe, Mutter von 3 Kindern, Sozialpädagogin und zertifizierte Kleinkindpädagogin. Seit 8 Jahren arbeitet sie in der Krippe des Waldorfkindergartens Wahlwies.
Sie stellt hier einen kleinen Ausschnitt ihrer Zukunftsvision vor. Das ist ihre persönliche Sicht auf die Welt und wie sie sich für sie gut und richtig anfühlt.

Ich denke, dass es heute sehr wichtig ist eine Vision zu entwickeln, denn dann bewegt man sich auf etwas zu, anstatt sich nur mit dem zu beschäftigen was einem nicht gefällt. Bei einem Interview mit Daniele Ganser sagte er, dass wir immer wieder das, an was wir wirklich glauben visualisieren sollen, denn dann kann es Gestalt annehmen.


Ich glaube an eine Welt, in der unsere Kinder respekt- und friedvoll mit allem Fremden umgehen, in der sie ihre Individualität und Kreativität selbstbestimmt und verantwortungsbewusst gestalten und leben können und in der sie tief verbunden mit der Natur die Sinnhaftigkeit ihres Lebens erleben können.


Ich glaube an eine Welt in der sich unsere Kinder mit Krankheit und Tod
auseinandersetzen dürfen und diese als sinnhaften Teil unseres Lebens gesehen werden und nicht nur bekämpft und eliminiert werden müssen.
Ich glaube, dass wir in tiefer Liebe und Verbundenheit zu allen Lebewesen auf dieser Erde leben können und aus dieser Liebe heraus einen Weg finden das Leben auf diesem Planeten zu schützen.


Wie kann ich nun helfen diese Vision zu realisieren? Ich muss beobachten und liebevoll wahrnehmen in welcher Form sich ganz kleine Kinder in ihre Umgebung stellen. Wie sie diese wahrnehmen und begreifen lernen. Diese Sicht liegt mir natürlich berufsbedingt nah.
Täglich erlebe ich wie das kleine Kind mit einer unerschütterlichen Ausdauer lernen möchte. Es hört nicht auf zu üben bis es den neuen Entwicklungsschritt, mit all seinen Varianten, erlernt hat. Kann es etwas noch nicht, so wird es immer wieder darauf zurückkommen und es von neuem probieren. Das gilt nicht nur für das Erlernen von Fertigkeiten, wie das Sprechen und Gehen, sondern auch für die Fähigkeit Dinge zu erkennen und zu verstehen, was ihre Funktion ist. Es wird einen
Gegenstand auf das Genaueste betrachten, betasten, erschmecken. Dann wird es schauen was man mit ihm alles tun kann. Kann man ihn fallen lassen? Wie fällt er? Rollt er oder nicht? Kann man etwas in ihn hinein tun oder nicht? Es gibt unendliche Fragen an den Gegenstand, die erst beantwortet werden müssen, bevor das Kind den Gegenstand wirklich „begriffen“ hat.


Wir sehen, dass das Kind ganz frei von Wertung ist. Es untersucht den Gegenstand und entscheidet erst, wenn er ihn verstanden hat, ob er ihn interessant oder uninteressant findet. D.h. zu Beginn ist da eine große Offenheit dem Fremden gegenüber. Es wird nicht einfach abgelehnt, weil man es nicht kennt, sondern das Fremde macht es erst so richtig interessant. Kann sich das Kind diese Neugier bewahren, so wird es auch später mit Interesse auf das Fremde zugehen.


Nun können wir Erwachsene, um das Kind, diesen Prozess des Begreifens der Welt unterstützend begleiten, oder aber auch erschweren, oder sogar verhindern.
Damit das Kind wirklich alles begreifen kann, muss es vor allem in Ruhe gelassen werden. Es braucht keine unnatürliche Anregung von Außen, denn meist bietet die Umgebung genug Dinge zum erkunden. Der Erwachsene sollte lediglich wachsam anwesend sein, um bei wirklicher Gefahr einschreiten zu können und aber vor allem,
um das Kind zu SEHEN.


Nimmt ein Kind Erde oder auch einen Stein in den Mund, so muss man nicht panisch reagieren. Es empfiehlt sich das Kind zu beobachten wie geschickt es mit dieser Sinneserfahrung umgeht. Sollte der Stein zu klein sein und es besteht die Gefahr, das er verschluckt werden kann, so kann man dem Kind einen größeren Stein anbieten. Diesen kann es dann ohne Gefahr erschmecken und ertasten.

Der Erwachsene nimmt also eine vertrauensvolle, abwartende und beobachtende Rolle ein und unterbricht den Forscher im Kind nur bei wirklicher Gefahr. So erlebt das Kind den Erwachsenen, als liebevolle Unterstützung und nicht als jemand der mit übertriebener Sorge reagiert.
Wenn man sich so dem Kind gegenüber verhält, wird man beobachten können wie groß die Erfahrungsmöglichkeiten nur eines Gegenstandes sind. Auch wird man beobachten, dass jedes Kind eine ganz eigene Herangehensweise hat. Es gibt also niemals nur einen Weg um diese Welt zu begreifen, sondern unendlich viele. Jedes Kind lernt auf seine ganz eigene Art und Weise Laufen und Sprechen. Man würde
das Kind in seiner Entwicklung extrem behindern, wenn man ihn an seinem ganz eigenen Weg hindern würde, weil man meint ein anderer wäre besser. Erlebt das Kind, dass es seinen ganz individuellen Weg gehen darf, so wird es sich auch später in seiner Individualität stark und selbstbewusst äußern können.


Erstaunlicherweise kann man beim Kind etwas sehr schönes beobachten: Wenn es etwas lernen möchte, dann gibt es nicht auf, auch wenn es nicht sofort klappt. Es wird versuchen immer geschickter zu werden, bis es dann endlich die Fähigkeit besitzt, z.B. auf einen Stuhl zu klettern. Diese Fähigkeit, immer besser werden zu wollen, kann natürlich durch einen übervorsichtigen Erwachsenen unterdrückt
werden. Hilft man andererseits dem Kind bei seinem Lernprozess, indem man es auf den Stuhl hochhebt, so nimmt man ihm die Möglichkeit aus eigener Kraft heraus diese Erfahrung gemeistert zu haben. Das Kind lernt, dass es nur mit Hilfe weiterkommt. Je öfter es diese Erfahrung macht, desto öfter wird es diese Hilfe auch erwarten. Möchten wir aber gerne Jugendliche und Erwachsene erleben, die fähig
sind ihr Leben eigenständig und eigenverantwortlich zu meistern, so sollten wir die Kinder immer wieder ermutigen weiter zu üben und sollten ihnen nicht zu schnell zur Hand gehen nur weil wir zu ungeduldig sind.


Für uns Erwachsene bedeutet das, dass wir unsere eigenen Ängste kennen sollten, damit wir diese nicht auf unsere Kinder übertragen. Und wir müssen wirklich beobachten, was das Kind tut und wie es etwas tut. Wenn wir dem Kind auch nach einem Sturz immer wieder zutrauen, dass es weiter üben darf, damit es noch geschickter wird und irgendwann die Hürde schafft, so werden die Kinder eine hohe
Selbstwirksamkeit erleben. Das wiederum stärkt das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein das Leben meistern zu können.


Hier wird außerdem von Seiten des Erwachsenen ein starkes Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes aufgebaut. Dieses Vertrauen ist unglaublich wichtig, damit wir das Kind, den Jugendlichen später seine Erfahrungen machen lassen können, ohne ihn andauernd überwachen zu müssen.Dieses Vertrauen unsererseits führt andererseits auch dazu, dass Kinder und Jugendliche uns und der Welt vertrauen und damit ebenfalls einen vertrauensvollen Umgang mit dem Leben pflegen werden.
Alles Lernen im Kindesalter, hängt also elementar mit dem echten und sinnhaften Erfahren der Welt zusammen. Meiner Überzeugung nach sollte daher der Computer absolut keinen Platz im Kindergarten und auch in der Grundschule haben. Die Kinder müssen mit der realen Welt in Berührung kommen. Später ist dann auch der Umgang mit den Medien wichtig, aber eben erst viel später.


In den vergangenen Wochen haben wir alle gemerkt, wie wichtig der Lehrer für das Lernen des Kindes ist. Lasst uns wachsam und stark sein, dass uns nicht weiß gemacht wird, Medien in der Schule könnten Lehrkräfte ersetzen. Kinder brauchen zum Lernen emotionale Beziehung! Und ja ich weiß, da kann auch der Lehrer manchmal sehr hinderlich sein. Dann nämlich wenn das Kind zu diesem keine
positive Beziehung aufbauen kann.


Wir haben in den vergangenen Wochen auch gemerkt, was passiert wenn eine Gesellschaft auf eine Krankheit nur einen Antwort kennt, nämlich die der absoluten Bekämpfung und Ausrottung. Wir haben aber auch gespürt, dass dadurch all das was das Leben lebenswert macht, nämlich Nähe, Beziehungen, reale gefühlte Erfahrungen, Neugier, Kreativität und auch Schmerz und die Begleitung im Tod,
verbannt werden müssen.


Ich werde weiter meine Vision von einer Welt leben, in der wir unsere Erde schützen damit unsere Kinder noch lange wirkliche Erfahrungen sammeln können und in der MENSCHLICHKEIT UND LIEBE allen Entscheidungen zugrunde liegt.

Dafür lohnt es sich friedvoll und kraftvoll aufzustehen!

Von Heidi, Spielraum Leiterin

Spielraum Leiterin nach Pikler seit 2006 für Eltern mit Kindern von 0 bis 10 Jahren
Fortbildungen für Erzieher*innen: Einführung in die Pikler- und Hengstenberg-Pädagogik seit 2014